Osterfeiertage ohne Eltern oder Großeltern: So manche Familien wäre hätten das in den letzten Jahren durchaus manchmal als Entlastung erlebt. Ein ruhiger Sonntag daheim, keine Besuche, keine Einkaufs- und Kochmarathons, keine enttäuschten Erwartungen, keine Reibereien betreffend Kindererziehung, keine Winke mit dem Zaunpfahl „Ich warte ja schon länger das sich das jemand einmal anschaut …“.
Und plötzlich ist es möglich – weil verordnet. Die Vernachlässigung der Älteren ist, bis auf digitale und telefonische Kontakte ethisch geboten und sozial akzeptiert, ja sogar verlangt – zu ihrem eigenen Schutz, und zur Stabilisierung des Gesundheitssystems. Aber es fühlt sich nicht an wie eine Erleichterung. Die Silver Lions fühlen sich mehr grau als silbrig. Die erwachsenen Söhne und Töchter fühlen sich eher verunsichert, verärgert, bedrückt als entlastet. Die Kleinen möchten mit dem Opa spielen, weil Papa zwischendurch immer aufs Handy schaut. Auch die Teenager vermissten die Oma, auch wenn sie manchmal ein wenig touchy, oder bossy oder schrullig ist. Genau deshalb nämlich. Damit ist auch die Paarbeziehung und das familiäre Zusammenleben belastet.
Menschen reagieren auf die Einschränkung von Möglichkeiten, wie viele Untersuchungen bestätigt haben, häufig mit der Aufwertung der nicht zugänglichen Option. Die Psychologie nennt das Bestreben, den Freiheitsspielraum wiederherzustellen, „Reaktanz“ (Brehm 1966, 1981). Viktor Frankl, der Begründer der Logotherapie, spricht von einer Aktivierung des Sinnstrebens, das durch den schwerer zugänglichen Wert anspringt. In diesen Zeiten der Einschränkungen spüren wir deutlich, was zählt. Die langen Haare sind lästig. Die fehlende Umarmung der Mutter/ des Sohnes tut weh.
Die Familien spüren: Die Oldies tragen mehr, als uns bewusst war, und fehlen uns mehr, als wir gedacht hätten. Sie suchen die Begegnung, rufen an, skypen, plaudern über den Balkon. Und manche merken, dass man sich etwas zu sagen hat. Laut Untersuchungen öffnen sich Menschen über Onlinekanäle tendenziell schneller als face-to-face. Hilfreich ist das gemeinsame Geschehen, das uns nun verbindet, über Lebensumstände und Altersgruppen hinweg. Aber es ist mehr als das: Es ist eine innere Entschiedenheit, die unsere Haltung verändert. „Jetzt habe ich wieder Lust, meine Mutter zu fragen, wie es mit ihrem Knie geht.“, sagt eine Klientin, die seit mehr als einem Jahr ihre schwere Kindheit aufarbeitet. „Ich sehe sie ja nicht, und mir ist wichtig, dass sie sich weiterhin bewegt. Und sie tut mir leid, so allein in der kleinen Wohnung.“ Die alten Wunden sind noch nicht verziehen, und – dank der Psychotherapie – inzwischen auch nicht mehr vergessen. Aber es gibt diesen anderen Blick auf den Menschen, der das ganze Leben hindurch da war. Immer da war.
Viele fragen sich in diesen Zeiten: Werde ich durch die Krise etwas oder jemand unwiederbringlich verlieren? Oder kann die Krise nachhaltig etwas zum Guten verändern? Die Älteren physisch zu schützen macht umso mehr Sinn, wenn sich die Nachfolgegenerationen neu für die Beziehung mit ihnen entscheiden. Vielleicht können die Jüngeren jetzt Fragen stellen, die sie schon immer auf der Zunge hatten. Oder die Älteren endlich sagen, was sie heute anders machen würden. Oder Blumen vorbeibringen – einfach so. Als Botschaft: „Schön, dass es Dich gibt.“
Vielleicht tauchen aber gerade jetzt auch Themen auf, die lange im Alltagsgeplänkel erstickt wurden. Ausmisten ist nicht nur in der Wohnung angesagt. Jetzt wäre Zeit dafür, und möglicherweise eine erhöhte Bereitschaft, sich und einander diesen aufrichtigen Dialog zuzumuten. Dadurch könnnen auch alte Wunden, Verstrickungen, Schuldthematik, die über Generationen weitergegeben wurden, verändert werden, sodass neue Wege möglich sind. Luise Reddemann sagt: „Es ist nie zu spät für eine glückliche Kindheit“. Man könnte ergänzen: Es ist nie zu spät, um in Weisheit zu altern.
Unterstützung bieten dabei geschulte TherapeutInnen, die sich auf die Dialogbegleitung von Eltern und erwachsenen Söhnen und Töchtern spezialisiert haben – online, in Therapiesitzungen oder, wenn es wieder möglich sein wird, in Workshops. Der Gutschein dafür ist schon jetzt eine Zusage: Ich werde Dich nicht vergessen – ich entdecke Dich erst.“
https://www.susanne-pointner.at/generationenworkshop/